Den Brockhaus gibt es gar nicht mehr und Encyclopædia Britannica nur noch digital. Folgen einer Entwicklung die vor nicht erst vor 15 Jahren begonnen hat. Aber am 15. Januar 2001 begann Jimmy Wales mit der Errichtung des multilingualen, kostenlosen und frei zugänglichen Onlinelexikons Wikipedia, das gedruckte Lexika in dutzenden Bänden überflüssig machte. Seit der Gründung hat sich das Projekt weit entwickelt: Über 37 Millionen Einträge umfasst Wikipedia heute. Jedoch steht häufig die Seriosität der Artikel in Frage, schließlich kann theoretisch jeder Nutzer die Inhalte korrigieren, verändern und auch mit Absicht verfälschen. Die Kritik schreckt aber nur die wenigsten Internetnutzer ab, Wikipedia als Recherchetool zu verwenden und den Artikeln Glauben zu schenken.
Laut Futurezone ergab eine Umfrage des deutschen Digitalverbands Bitkom unter deutschen Internetnutzern, dass rund 79 Prozent der Befragten Wikipedia verwenden. Rund 80 Prozent vertrauen sogar den Inhalten des Onlinelexikons. In Sachen Recherche steht Wikipedia zudem an erster Stelle: Demnach suchen etwa vier von fünf Nutzern (79 Prozent) ab 14 Jahren hier als erstes nach den gewünschten Informationen.
Besonders beliebt ist Wikipedia bei Schülern und Studenten. Hier liegt der Anteil derjenigen, die Wikipedia häufig nutzen, zwischen 74 und 92 Prozent. Aber auch der Anteil der über 65-jährigen Nutzer ist beachtlich: rund 43 Prozent machen von Wikipedia Gebrauch.
Trotz der Kritik an Wikipedia vertraut ein Großteil der Nutzer den Artikeln. Circa 80 Prozent der Leser beurteilen die Glaubwürdigkeit der Beiträge als „immer“ oder „meistens“ verlässlich. Rund 18 Prozent behaupten dahingegen, die Artikel seien nur „selten verlässlich“. Die restlichen zwei Prozent sind der Meinung, die Artikel seien „nie verlässlich“.
©Wikimedia
Wie zuverlässig ist Wikipedia wirklich?
Wikipedia selbst rät auf der eigenen Website , grundsätzlich alles, was man liest, zu hinterfragen. Der häufig aufkommenden Kritik, jeder kann die Artikel verändern und wenn dem so ist, „dann kann doch auch jeder beliebig Unsinn machen“, setzt Wikipedia entgegen, dass es in der deutschsprachigen Wikipedia derzeit über 18.000 Wikipedianer gibt. Deren Aufgabe ist es, mittels Beobachtungslisten besonders interessante oder für Vandalismus anfällige Artikel zu beobachten und in Fällen des Missbrauchs zu bearbeiten. Zudem bekommen die Nutzer die Neuerungen nicht sofort zu lesen, sondern erst dann, „wenn ein erfahrener Autor sie überprüft hat.“
Mit dieser Methode soll gewährleistet werden, „dass offensichtlicher Blödsinn („Vandalismus“)“ sofort auffällt. Darüber hinaus werden überarbeitete Artikel nicht gelöscht, sondern in einer Artikel-Historie aufbewahrt. Das konnte aber nicht verhindern, dass im September der Artikel über Bundeskanzlerin Merkel für einige Stunden deftige Beleidigungen enthielt . Mit nur wenig Aufwand können somit verfälschte Artikel rückgängig gemacht werden – was im obigen Fall auch geschah – und bei sich häufenden Verstößen die verantwortlichen Nutzer gesperrt werden.
Bei der Frage, wie laienhaftes Halbwissen verhindert werden kann, vertraut Wikipedia auf die Hilfe der Leser. Sobald jemandem ein Fehler auffällt, sei es Zahlendreher, Rechtschreib-, Grammatik-, oder Formatierungsfehler, bittet Wikipedia die Nutzer um Mithilfe, die Fehler zu korrigieren. Wikipedia selbst sagt dazu: „ Wikipedia baut darauf, dass jeder einschätzen kann, wann jemand anderes Besseres geleistet hat und diesem dann den Vorrang gewährt. Dieses Prinzip funktioniert bisher erstaunlich gut. Außerdem werden Änderungen, die nicht ausreichend belegt sind, besonders kritisch betrachtet.“
Je älter, desto glaubwürdiger
Laut Wikipedia zeige die Erfahrung, dass viel beobachtete und gegebenenfalls überarbeitete Texte oftmals weniger Fehler beinhalten, als jene, die von einer kleineren Zielgruppe gelesen wird. Das Institut für Internationale Pädagogische Forschung unterstützt diese Beobachtung: „Die Nutzerinnen und Nutzer nehmen Texte, die länger und älter sind, eher als gut geschrieben wahr. Gleiches trifft auf Biografien zu, die mehrfach und von unterschiedlichen Personen bearbeitet wurden […]. Ebenso als […] glaubhaft gelten Beiträge mit zahlreichen Verlinkungen und Referenzen. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Qualität der Biografien allgemein höher eingeschätzt wird, wenn die Wikipedia-Gemeinschaft sie intensiver und länger bearbeitet hat.“
Trotz all dem empfiehlt Wikipedia, dass man zur Sicherheit mehrere Quellen zu Rate ziehen sollte. Denn letztendlich bleibt Wikipedia ein von der Gemeinschaft zusammengestelltes Onlinelexikon, welches sich Ehrlichkeit und den Gemeinnutzen als Leitsatz zugeschrieben hat. Im Großen und Ganzen gilt Wikipedia zwar als glaubwürdiges Nachschlagewerk, jedoch lässt sich die Seriosität aller Artikelinhalte nur sehr schwer kontrollieren.
Wieso nutzen dennoch so viele Menschen Wikipedia und nicht beispielsweise renommiertere Onlinelexika mit seriösen Quellen, wie zum Beispiel das Nachschlagewerk von Brockhaus , das in diesem Sommer eine neue Online-Ausgabe aufgestellt hat? Immerhin beschränkt sich die Brockhaus Enzyklopädie auf relevantes, durch ausgewählte Fachredakteure geprüftes Wissen und ist zitierfähig. Somit ist dies besonders für Schüler und Studenten eine viel attraktivere Alternative. Allerdings ist der Brockhaus Wissensservice lediglich über Institutionen, wie beispielsweise öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken, Schulen und Unternehmen verfügbar. Vielleicht gehört Wikipedia gerade deshalb „zu den zehn am häufigsten frequentierten Internetseiten“ weltweit. Möglicherweise setzen die meisten Nutzer gar nicht auf umfangreichen Informationen, sondern wollen nur bestimmte Zahlen, Daten und Fakten suchen? Ist Wikipedia gerade deshalb für die meisten Nutzer so attraktiv, weil der wissenschaftliche und literarische Faktor eher im Hintergrund steht und der Fokus mehr auf den Interessen der breiten Masse liegt. „Tatsächlich ist Wikipedia, wie ihre Anhänger beanspruchen, eine großartige Quelle für Nebensächlichkeiten der Popkultur“, schrieb der Wikipedia-Kritiker Andrew Orlowski bereits 2005. Von Vorteil ist für Wikipedia sicherlich auch, dass die Suchalgorithmen von Google die Artikel der Online-Enzyklopädie als besonders hochwertig einstufen – kaum ein Keyword, zu dem der erste Treffer nicht zu Wikipedia führt.
Pop und Kultur
Betrachtet man beispielsweise die meist besuchten deutschen Wikipedia-Einträge in dieser Woche , liegt der Schwerpunkt auf Themen, die in traditionelleren Lexika wohl kaum zu finden sind. Auf Platz eins, mit über 600.000 Aufrufen, liegt David Bowie, dessen Tod am vergangenen Sonntag für öffentliches Aufsehen sorgte. Aber auch Kinofilme, wie der vor Kurzem angelaufene „The Revenant – Der Rückkehrer“ (über 120.000 Aufrufe) oder „Star Wars – Das Erwachen der Macht“ (über 80.000 Aufrufe) sind unter den Top Ten. Auch Themen von politischem und gesellschaftlichem Interesse wie „Sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16“ (über 88.000 Aufrufe) haben die Nutzer interessiert.
Fazit
Der große Unterschied zwischen Wikipedia und anderen Nachschlagewerken – egal, ob online oder in gedruckter Ausgabe – stellt sich in der Art und Weise dar, wie die Themen zu Stande kommen. Dadurch, dass die Wikipedia-Autoren die für sie interessanten Themen auswählen und mit bearbeiten können, ist zwar einerseits gewährleistet, dass diese Themen auch für andere Interessierte zugänglich sind. Auf der anderen Seite fehlt durch die Anonymität im Internet an manchen Stellen auch die Seriosität, die andere Onlinelexika oder gedruckte Nachschlagewerke durch eine eingeschränkte und qualitätsorientierte Autorenauswahl bieten können.
Nichtsdestotrotz eignet sich Wikipedia hervorragend, um sich über bestimmte Themen einen groben Überblick zu verschaffen. Und dank der über 18.000 deutschen Wikipedianern können wir uns zumindest bei den meisten Artikeln recht sicher sein, dass der Großteil der Angaben stimmen. Das Schreiben einer Bachelor- oder Doktorarbeit sollte dann aber doch besser mit wissenschaftlicher und zitierfähiger Literatur erfolgen.