Randvoll mit Fett ist das Wollschwein. Wer einmal selbst eins getötet hat, ändert seine Haltung zum Fleischessen.


1 — Das Ende ist nah


Beim Sterben wird nicht dazwischengequatscht. Kein Wort, während er tötet. Die nächsten paar Minuten wird Christoph Wiesner nicht reden. Das verlangt er von allen hier. 

Die Schweine hat er mit gekochten Kartoffeln herangelockt. Sie wären aber auch von alleine gekommen; schmatzend, grunzend, ein Volk fresssüchtiger Viecher, die Wiesner überallhin folgen, denn er gibt ihnen Nahrung. Und er holt sie sich zurück. 

Mit einem Käfig separiert Christoph Wiesner ein Schwein. © Manfred Klimek

Mit abgewandtem Blick stemmt er einen abgegriffenen Käfig aus dem Morast, schwingt ihn in die Höhe, geht vier entschlossene Schritte in die Herde und stülpt das Gitter über drei Schweine. Zwei kleine und ein großes. Das große muss dran glauben. Wiesner setzt seinen handlichen Bolzenschussapparat an und pfeffert ohne Zögern dem Tier ein Stück Metall ins Hirn. Das Schwein fällt um, Blut tröpfelt aus der Schnauze. Jetzt geht es ruckzuck: Wiesner zieht sein Messer aus dem Gürtel und sticht in die Halsschlagader – der Tod. Rot quillt es aus dem Körper und Wiesner pumpt mit dem rechten Vorderlauf auch noch die letzten Tropfen aus dem kaum noch schlagenden Herzen. Das alles dauert fünf Minuten. 

VIDEO: Die Wiesners schlachten ihre Mangalitza-Schweine auf der Weide. Das oberste Ziel: Stress vermeiden. (4:21 Min)

Dann geht der Schlachter weg, Stricke holen und den Kombi mit Anhänger. Das tote Schwein liegt einige Augenblicke allein im aufgewühlten Erdreich, seine Artgenossen verharren in einigen Metern Entfernung und beobachten die Szene. Sie vergessen schnell. Nach zwei Minuten wagt sich ein schwarzer Eber an den Ort des Sterbens zurück und leckt das Blut vom Boden auf. Nun kommen auch die anderen Schweine. Eben noch hat sich der beseelte Körper mit ihnen um das Futter gestritten, jetzt, seelenlos, ist er selbst Futter. Fressen und gefressen werden. Gesetz der Natur. 

Auf dem Bauernhof ist es nur in Kinderbüchern schön. Auf dem Bauernhof treiben es Hühner und Enten zwischen Traktoren und gestapelten Reifen, auf dem Bauernhof schlingt die Katze eine Maus hinunter und starrt dabei unverwandt in dein Gesicht, auf dem Bauernhof frisst die Schweinemutter eines ihrer Ferkel auf, das sie irrtümlich erdrückte. Der gelähmte aber noch lebende Frischling wird vom Schwanz her verzehrt. Und schreit. Lange. Eindringlich. Auf dem Bauernhof ist nichts lustig; Bauernhof und Bauer sind mit unserer von sichtbarem Leid und Tod weitgehend befreiten Welt inkompatibel. Auf dem Bauernhof wird öffentlich gestorben. Und es riecht streng. 

Mit einer Schüssel fängt Isabell Wiesner das Blut auf. Damit es nicht gerinnt, wird es mit der Hand gerührt. © Manfred Klimek

Trotzdem kommen viele Leute zu Christoph Wiesner zu Besuch, denn sie wollen von ihm etwas über Hausschlachtung erzählt bekommen. Und von der Verarbeitung der Tiere, vom großen Fressen, von der Gesamtverwertbarkeit des Körpers. Sie suchen Ethik – und erfahren alles über Blutwurst und Bauchspeck. Wenn sie wieder gehen, essen sie ihr Fleisch anders. Nicht weniger, aber mehr von allem, was das Tier so bietet. 

Jetzt darf wieder geredet werden, sagt Herr Wiesner und hebt mit seiner Frau Isabell das Schwein in den Anhänger. Es war eine gute Schlachtung, denn das Tier starb glücklich, über ein paar Kartoffeln. Ohne Stress! Mampf, peng, schlitz, aus. Ohne Stress, betont Wiesner noch einmal. Jetzt braucht er einen Schnaps. Dieses Fleisch wird schmecken. 

2 — Bauer for the People

Christoph Wiesner ist ein stiller, nachdenklicher Mann. Isabell und er wollten immer auf dem Land leben, sie haben vier Kinder. Er kommt aus Wien, sie aus Kärnten. Den Bauernhof im niederösterreichischen Göllersdorf haben sie 1995 gekauft und fast zur Gänze mit Eigenkapital bezahlt. Wiesner war vorher Bauingenieur. Der Hof war quasi hinüber, die Wiesners renovierten ihn zurück. Ideen und Hände statt Kredite und Raten. Zwei Selbermacher auf dem Weg zur Selbstversorgung. Die Familie komme gut zurecht, sagt Christoph Wiesner stolz, alles sei da: ein Dach über dem Kopf, Obst und Gemüse, immer ein Stück Fleisch. 

Abtransport zum Hof © Manfred Klimek

Neben seinen 130 Schweinen hält Wiesner auch rund 300 Federtiere. Sulmtaler Hühner, Bressehühner, Irgendwas Hühner. Dazu noch Enten, Gänse und Truthähne, die wohl am absurdesten gekleidete Vogelart. Alle laufen herum und machen Lärm. Die Hähne überwachen ihr Revier und hacken einander ins prall leuchtende Gefieder, wenn es um die Vorherrschaft am Misthaufen geht. Der Stärkere gewinnt, sagt Christoph Wiesner, mit dem Schwächeren hat keiner Mitleid. Ein Chuck-Norris-Satz. Diese einfache Regel gilt auch bei den Schweinen. Wenn eine Mutter versage, wenig Frischlinge werfe oder zu blöd sei, ihre Nachkommenschaft durchzubringen, sagt Wiesner, falle sie in der Rangordnung ganz nach unten und müsse sich erst wieder hochbeißen. Einmal, erinnert er sich, habe eine schwache, aber intelligente Sau seine Nähe gesucht. Sie holte Unterstützung an der richtigen Stelle. 

Der Hof der Wiesners umfasst 28,5 Hektar. Man geht eine ganze Weile durch die Gehege. Von den Gebäuden geht es bergauf. Von der höchsten Stelle des Hügels kann man nach Wien sehen, die Stadtgrenze ist nur 40 Kilometer entfernt. Aus Wien kommen die meisten Besucher der Wiesners: Anwälte, Ärzte, Journalisten. Eine meist freiberufliche, gut gestellte Elite, die sich viel mit Ernährung beschäftigt, Qualität sucht und sich nicht scheut, für Qualität zu töten. Aber nicht nur wohlhabende Bürgerliche kommen, auch einfache Menschen, welche mit geringem Einkommen. Sie interessiert die Selbstversorgung und was man aus so einem Schwein an Verwertbarem rausholen kann. Da sind sie bei Wiesner richtig. Er verwertet alles. 

Schon immer, schon vor der sogenannten Nose-to-Tail-Bewegung, die klar macht, wie viel vom Schlachttier die menschliche Nahrungskette nicht erreicht. Wiesner ist kein Modeschlachter, obwohl er inzwischen selbst in den USA den Leuten das Töten und Verwerten lehrt. Wiesner ist authentisch, weil er zeit seines selbstbestimmten Bauernlebens kein Stück vom Tier ausließ, seit 20 Jahren, aus finanziellen Gründen. Wiesner ist wahr, kein Fake – und kein Dogmatiker, der bei Diskussionen laut wird. 

Mit einem Stich in die Halsschlagader wird das Schwein getötet. © Manfred Klimek

Das Schlachten. Beim ersten Mal macht es Wiesner vor. Beim zweiten Mal ist der Gast selbst dran. Nur wenige kneifen. Oft steht die ganze Familie im Schlamm, der Vater schießt den Bolzen in sein Tier und sticht zu. Selten die Mutter, doch wenn, dann demonstrativ. Wie reagieren Kinder, wenn das Tier ausblutet? Ziemlich ruhig, sagt Wiesner. Wenn ein Kind weiß, dass es ein Tier töten muss, damit es ein Schnitzel essen kann, bekommt es beim Töten keine Panikzustände. 

Der Gesetzgeber erlaubt nur dem Besitzer des Tieres, die Hausschlachtung eigenhändig durchzuführen. Deswegen darf Wiesner nur beobachten, wenn die Gäste töten, die das Tier vorher erworben haben, aber nicht eingreifen. Und wenn bei einem Schüler etwas schiefgeht? Theoretisch ist es mir behördlich verboten, sagt Wiesner mit vieldeutiger Miene. Mit der Behörde legt er sich nicht gerne an, denn die hat ihn schon genug genervt im Leben. Für die österreichischen Landesbeamten ist er eine Art Schlachtrebell, einer, der die Leute zu eigenem Tun verleitet und so die großen Schlachthöfe brotlos machen will. So einem schaut man genau auf die Finger. 

Wiesner sagt, die meisten Leute überrasche vor allem, dass es so ruhig abgeht. Anders als in den Schlachthöfen, wo die Schweine versuchen zu fliehen, weil sie ahnen, was ihnen bevorsteht. Es geht beim Schlachten um Bruchteile einer Sekunde, erklärt Wiesner. Wenn das Tier nichts mitbekommt, entweichen auch keine Stresshormone in das Muskelfleisch. Nur ein angstfrei gestorbenes Tier ist bis in die letzte Faser ein leckeres Tier. 

3 — Die Fettsau

Die Wiesners halten Mangalitzaschweine. Die sind in Mode, eine Art Golden Retriever unter den Schweinen. Sie haben ein wildes Fell, sind in dichte Wolle gepackt, sehen possierlich aus. Ein Tier zum Drücken und Liebhaben. Nicht gerade das, was man gerne um die Ecke bringt. 

Das Mangalitzaschwein ist ein Fettschwein. Weniger Fleisch, mehr Fett. Das klingt minderwertig. Fett? Fett ist ganz schlecht! Das wurde uns zwei Generationen lang eingebläut. Inzwischen wissen aber nicht nur Köche, dass Fett ein guter Geschmacksträger ist. Und kein Gesundheitspolitiker macht mehr allein Fett für Herzinfarkte verantwortlich. Das Mangalitzaschwein ist randvoll mit Fett. Der Rückenspeck des normalen Hausschweins ist etwa 3 Zentimeter dick, der des Mangalitzaschweins bis zu 17 Zentimeter. 

Die Fleischindustrie füttert nicht auf Fett, die Wiesners schon. Die Fleischindustrie füttert auf schnelles Wachstum, die Wiesners lassen ihre Schweine langsam groß werden. Der Fleischindustrie ist es egal, wie das Fett aussieht und schmeckt, den Wiesners nicht. Sie füttern die Tiere vor der Schlachtung mit Roggen, denn Roggen macht das Fett weiß und hart. 

Schlachtpause: Christoph Wiesner mit einem seiner Söhne © Manfred Klimek

Es gibt eine eigene Mangalitzaschwein-Fangemeinde. Die Tiere machen einen so ursprünglichen Eindruck. Doch Fell und Wolle täuschen, das Mangalitzaschwein ist ein Produkt der Zivilisation, eine ungarisch-serbische Kreuzung, die nach und nach von den haarlosen englischen Hausschweinen verdrängt wurde. Ende der siebziger Jahre gab es nur noch 214 reinrassige Mangalitzas in Ungarn. Derart dezimiert wurde das Wollschwein schnell der Liebling der Artenschützer. Die Anzahl der Mangalitzas wuchs dann schnell wieder. Die Tiere brauchen keinen Stall, sie kosten den Bauer kein Bauwerk – wenn man von der Räucherkammer mal absieht. 

4 — Stunde des Metzgers

Christoph Wiesner ist mit dem toten Schwein zu seinem Hof zurückgekehrt. Hier wird der Körper mehrmals in heißes Wasser getaucht, danach schlägt eine laute, archaische Maschine dem Tier das Fell vom Leib. Von der Wolle befreit ist ein Mangalitza so rosa wie alle Schweine. Wiesner hängt das dampfende Tier zum Zerteilen an eine Hubmaschine und greift sich Messer, Beil und Säge. Die Metzgerarbeit hat er sich selbst beigebracht, ein autodidaktischer Fleischhauer. Man kann sich denken, was die Behörde davon hält. 

VIDEO: Das geschlachtete Schwein wird auf dem Hof in seine Einzelteile zerlegt. Nahezu alles wird verwertet. (4:59 Min)

Isabella Wiesner hat das Blut noch auf der Weide aufgefangen. Frisch von der Quelle. Die rote Suppe wird gerührt und später in die Blutwurst gegossen. Sie ist, wie alle Würste, ein Nebenprodukt des Zerlegens und so ein Hauptprodukt der Nose-to-Tail-Verwertung. In den Würsten verschwinden viele Teile, die man sonst nicht essen könnte. Etwa der gekochte Schweinekopf inklusive Schnauze, den Isabella Wiesner so lange faschiert, bis er nicht mehr nach Schweinkopf aussieht. Faschiert wird auch anderes Abfallfleisch, Schnittreste, die sonst kein menschlicher Kauapparat kleinkriegt. Die kommen in Brat- und Leberwürste. 

Was wird nicht verarbeitet? Die Klauen und die Drüsen, sagt Wiesner. Die Drüsen sind der Speicher aller Krankheiten. Die sollte man nicht essen. Und das Horn der Klauen ist ungenießbar. Ein letzter Blick auf das Schwein im Ganzen, dann fängt der Autodidakt beim Anus mit dem Säbeln an. Der Ringelschwanz bleibt an der rechten Hälfte, der Penis kommt raus, der Samenstrang, die Hoden auch. Alles verwertbar, aber keine Delikatessen. 

Dann holt Wiesner die Nieren ans Licht, hält sie unters Wasser und schneidet ein paar Stücke ab, die er roh zum Kosten herumreicht: kernig, köstlich, kein Uringeschmack. Danach die Leber; unters Wasser, kleine Stücke: kernig, köstlich, ein Hauch Blut. Delikatessen. Könnte man auf Reis packen und Sushi damit machen. 

Das sogenannte Netz: Es hielt die inneren Organe des Schweins. © Manfred Klimek

Lunge raus, einen paar Meter Darm raus, Magen raus, Milz raus, Herz raus, Zunge raus, Hirn raus, Kopf ab. Das Hirn passt in einen Handteller. Wäre es größer, wüsste das Schwein von sich als Ich und ließe sich nicht so leicht umbringen. 

Mit Axt und Säge macht Christoph Wiesner zwei Hälfen fertig, die er normalerweise ein paar Tage bei winterlichen Temperaturen in einer ungeheizten Kammer abhängen lässt. So wird der Sauerstoff in den Muskeln zu CO2 abgebaut, das macht das Schneiden leichter. Diesmal wird das Frischfleisch ohne Ruhepause verarbeitet, Wiesner führt vor, wie schnell man ein 150-Kilo-Tier in handliche Teile zerlegt. Er braucht dafür etwas weniger als eine Stunde. 

Wiesner räumt den großen Esstisch neben der offenen Küche leer, wirft das kopflose Schwein auf die alte, zerfurchte Holzplatte, die er mit einem Tuch zugedeckt hat, stellt sich vier rote Kunststoffkisten an die Seite, legt einen Kettenhandschuh an, damit der sich nicht die Finger wegsäbelt, falls er abrutscht, und macht sich an die Arbeit. Wieder wird geschwiegen. Wiesner ächzt beim Hacken und Reißen – Knochenarbeit. Jetzt wird das System sichtbar: eine Kiste für Fett – sie ist schnell voll, eine Kiste für Fleisch, eine Kiste für Haut und Beine, eine Kiste für die Schnittreste. 

Unter dem dicken Rückenspeck entkernt Wiesner den Schweinekamm, den sogenannten Schopfbraten, das Halsstück, den Nacken. Hier ist viel Fett zu sehen, für den Mangalitzakenner also wertvolles Fleisch. Danach das Rippenstück, das Kotelett oder Karree und das Filetstück, das in Österreich aufgrund einer fehlerhaften Übersetzung aus dem Lateinischen (lumbus – die Lende) Lungenbraten heißt. Das Filet hat nicht viel Fett, was 99 Prozent der Konsumenten mögen, nicht aber der Mangalitzakenner. Für ihn ist es Kategorie: kann man essen. 

Das Metzgerhandwerk hat Christoph Wiesner sich selbst beigebracht. © Manfred Klimek

Wiesner werkt am Vorderbein, an der Schweineschulter – Eisbein, Schäufele, Schinken. Vor allem Schinken. Gesalzen und geräuchert hängen schon Haxen auf dem Dachboden. Sie hängen da ein paar Jahre, wie guter Wein im Keller zum Reifen liegt. Der Dachboden riecht nach Fleisch, jeder Raum der Wiesners riecht nach Fleisch. Mal mehr, mal weniger, aber immer. Es fällt auf, wenn man von draußen hereinkommt. Fleisch aromatisiert die Räume. Für Veganer die Hölle. 

Nun fällt der Schweinebauch in Stücke, die Brust, der Lappen. Ordentlich Fett, unberührtes Weiß, exzellent für Lardo, den italienischen Speck. Neben Lardo räuchern die Wiesners auch Karreespeck, Schulterspeck, Schinkenspeck, Bauchspeck und Schopfspeck – ein Mäuseparadies, wenn's nach dem Sprichwort geht. Der Metzger macht an der Hinterkeule weiter: Oberschale, Unterschale, Hüfte, Nuss. Die Hinterkeule ist in Österreich als Delikatessbraten namens Stelze bekannt. Bier und Stelze formen manchen Wiener Körper. Noch schnell die Füße ab und Wiesner ist fertig. Erschöpft ist er auch. Jetzt braucht er einen Kaffee. 

5 — Von Mampf zu Mampf

Offener als Isabell Wiesners Küche kann kaum eine Küche sein. Über den Herden hängen Werkzeuge und Pfannen, sauber aber abgegriffen, darunter auch Gerätschaft, die schon ihre Großmutter in Verwendung hatte. Das wichtigste Utensil ist aber verhältnismäßig neu: der Fleischwolf. Er läuft seit Stunden, macht Großes klein und alles gleich. 

Isabell Wiesner schmeckt für den Haushalt ab. Christoph Wiesner sagt, er habe sich lange nicht für Essen interessiert. Bis er sich mit Industrieprodukten nicht mehr zufrieden gab und bessere Qualität wollte. Seitdem hat er das Würzen gut im Griff und kann auch Kleinigkeiten kochen. Doch Isabell Wiesner ist Nase und Zunge des Haushalts. Und sie führt in den Räumen das Regiment. 

VIDEO: Nichts wird weggeworfen: Aus jedem Teil des Schweins macht Isabell Wiesner traditionelle Hausmannskost. (2:33 Min)

Schon vor dem Zerteilen des Schweines hat sie Schmalz ausgelassen und mit dem frischen, noch warmen Fett einen Teig angerührt, der nun als köstliches, trocken-knackiges Blätterteiggebäck aus dem Ofen kommt. Natürlich ist es zuerst gewöhnungsbedürftig, wenn gezuckerter Blätterteig so offensiv nach Schwein schmeckt. Doch beim dritten Stück hat man sich daran gewöhnt. Und nach der fünften Schnitte kann man sich das gar nicht anders denken. Schweinfett ist nicht neutral. Und auch nicht elegant. Schweinfett bringt jene Deftigkeit zurück, die in unserer Kochkultur verloren gegangen ist. 

Die Milz wird freilich auch durch den Fleischwolf gedreht, also faschiert, abgeschmeckt und auf ein kleines Stück Weißbrot gestrichen, das wie ein Boot in eine Rindersuppe gesetzt wird. In Österreich heißt diese Einlage Milzschnitte und man bekommt sie nur noch in einigen traditionellen Gasthäusern – dort, wo man an der Theke noch rauchen darf. 

Isabelle Wiesner rührt jetzt in vielen Töpfen gleichzeitig. Mit ihrem Mann jagt sie Fleischmasse durch die Wurstmaschine, dann fangen sie sie mit der Haut der Därme auf. Sie binden ab, brühen und braten. Vor allem Innereien müssen schnell verarbeitet werden. Beispielsweise zu Beuschel, ebenfalls eine typisch österreichische Speise: schmale, längliche Streifen der Lunge und des Herzens, dazu Wurzelwerk und Knödel. Grau und fahl, nicht schön anzusehen. Aber lecker. 

Die Gewürze nehmen einen ganzen Schrank in Beschlag. Isabelle Wiesner greift vor allem bei den Organen gern auf Zutaten der asiatischen Küche zurück. Etwa beim Schweineherz, das sie mit Koriander kombiniert. Alles verwerten heißt, Texturen zu strecken und aus wenig mehr zu machen. In Menge und Geschmack. Alles verwerten heißt, erfinderisch zu sein und keine Möglichkeit zu übersehen, jedem Teil des Tieres ein schmackhaftes Ende zu bereiten. 

Doch einiges schmeckt ungewürzt am besten. Etwa ein Stück Fleisch aus Schulter oder Schopf. Das kommt nur mit etwas Fett in die Pfanne. Ohne Salz und Pfeffer. Ohne Knoblauch und Rosmarin. Nur dann, sagt Christoph Wiesner, schmeckt man die Qualität des Tieres. Das Fleisch schmecke ohne Gewürze gewürzt. Damit verblüffe er die meisten seiner Besucher. 

Das wertvolle Rückenfett des Mangalitza-Schweins © Manfred Klimek

Was ist das Würzigste am Schwein? Wiesner denkt nicht lange nach: der Augenmuskel. Wie bitte? Ja. Jedes Tier habe an jedem Auge einen kleinen Muskel, der sich immer bewegt. Auch im Schlaf. Deshalb ist dieses Fleisch das wohlschmeckendste. Für eine Portion braucht man mindestens zehn solcher Muskeln. Hat er das mit dem Augenmuskel schon einem Sternekoch gesteckt? Bis jetzt nicht. Die Welt wartet noch auf diese kulinarische Entdeckung. 

Es ist Abend geworden und in der Küche kehrt Ruhe ein. Ein befreundeter Winzer bringt jede Menge Weißwein und bei Wiesners kommt Gemütlichkeit auf. Allein schon, weil die Tiere keinen Lärm mehr machen. Nur ein dunkler Bauernhof ist ein friedlicher Bauernhof, sofern kein Fuchs oder Marder zu Besuch kommt. 

Gemeinsam machen die Wiesners Blutwurst. © Manfred Klimek

Wie lange kommt eine durchschnittliche Familie mit zwei Kindern mit einem Schwein aus? Die Wiesners beginnen zu zählen und zu rechnen und kommen großzügig geschätzt auf etwa 150 Portionen bei einem großen Tier. Es können auch ein paar weniger sein. Das bedeutet, dass eine solche Familie lediglich zwei Tiere im Jahr schlachten muss? Christoph Wiesner nickt. Wenn jeder für seinen Privatbedarf schlachten würde, wäre das Töten wieder eine intime Angelegenheit, die Menschen hätten wieder eine Beziehung zum Tier. 

Aber wollen die Menschen, jene, die nicht zu den Wiesners kommen, das? Wollen sie dem Nahrungsmittel in die Augen sehen? Ich glaube nicht, sagt Wiesner. Und kaut an seinem Speck.

Debatte

Sollten alle Menschen ihr Fleisch von solchen Erzeugern beziehen? Sollten sie, sofern sie Fleisch essen wollen, lernen selbst zu schlachten, wie es auf dem Hof der Wiesners geschieht? Oder ist das Fleisch von Tieren – auch unter diesen Bedingungen –  für Menschen tabu? Diskutieren Sie mit uns in der ZEIT-ONLINE-Community. Verfolgen Sie die Debatte auf Twitter unter #kochwoche.

Team

Text & Fotos: Manfred Klimek
Video: Janine Stengel 
Redaktion: Maria Exner & Meike Dülffer
Videoschnitt: Fabian Mohr
Illustration: Jörg Block
Interaktive Grafik: Julian Stahnke
Danke an: Christoph Wiesner, Isabell Zernitz-Wiesner, Markus Nowak