Zum Inhalt springen

S.P.O.N. - Die Spur des Geldes Was 2015 mit 1914 gemeinsam hat

Mit ideologischer Verbohrtheit beharren die Deutschen darauf, dass Griechenland all seine Kredite zurückzahlen muss - was so oder so nicht geschehen wird. Höchste Zeit also für eine Schuldenkonferenz!

Politische Karrieren entscheiden sich in Momenten wie diesen. Sigmar Gabriels wiederholte Drohungen von einem Grexit machen es jetzt der SPD unmöglich, sich von Angela Merkels katastrophaler Europolitik zu distanzieren. Die Genossen haben sich wirtschaftspolitisch damit zu einem Anhängsel von CDU und CSU degradiert.

Die einzige kleine Chance auf eine Rückkehr zu einer rationalen Position liegt bei Merkel selbst. Sie kann jetzt noch die Reißleine ziehen und einer Schuldenkonferenz für Griechenland zustimmen. Der Deal, den sie anbieten könnte, wären harte Reformen gegen Schuldenerlass. Keine Sparmaßnahmen, sondern echte Strukturreformen.

Der Schuldenerlass ist ökonomisch ohne Alternative. Es kommt selten vor, dass ich diesen Ausdruck benutze, denn Politik, und gerade Wirtschaftspolitik, besteht aus der Wahl zwischen Alternativen. Doch in diesem Fall ist der Ausdruck angemessen. Der Schuldenschnitt, ob verhandelt oder einseitig durch einen Zahlungsausfall erwirkt, ist eine mathematische Konsequenz aus Griechenlands volkswirtschaftlichen Parametern. Griechenland kann nur dann im Euro bleiben, wenn exakt vier Voraussetzungen gegeben sind:

  • ein Erlass der Schulden,
  • eine Refinanzierung des Bankensystems,
  • echte Strukturreformen und
  • ein Ende der aggressiven Sparpolitik.

Wenn Deutschland und die anderen Geldgeber dazu bereit sind, dann ist der befürchtete Grexit doch noch vermeidbar. Wenn nicht, dann nicht. So einfach ist es auf der faktischen Ebene.

Die Frage ist: Kann und will Merkel das? In den eigenen Reihen rumort es, und Merkel weiß auch, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den Grexit jetzt für den richtigen Weg hält. Sie müsste Widerstände überwinden. Und sie müsste indirekt zugeben, dass ihre Politik, alte Schulden mit neuen zu refinanzieren, gescheitert ist.

Die in den Jahren 2010 und 2012 beschlossenen Griechenlandprogramme würden ohne Zweifel als Insolvenzverschleppung unter das Strafrecht fallen, hätte man eine solche Nummer im Privatsektor abgezogen. Was hier passiert ist, ist in seinem Wesen kriminell, auch wenn es nicht den formaljuristischen Anforderungen an eine Straftat genügt. Es ist die Verschleierung eines wirtschaftlichen Tatbestands aus niederen Beweggründen: der politische Eigennutz der Kanzlerin zu massiven Lasten des Steuerzahlers. Dass in Deutschland angesichts dieser Katastrophe niemand Merkels Rücktritt verlangt, ist Zeichen einer kranken politischen Kultur.

Schuldenschnitt aus rationalen Gründen

Im Falle eines Grexits wird Griechenland voraussichtlich keinen einzigen Cent seiner Schulden bedienen. Es droht Deutschland ein Totalverlust von 90 Milliarden Euro plus unbezifferte Kollateralschäden. Wenn sich Merkel nun auf eine Schuldenkonferenz einlässt, dann wird der materielle Verlust deutlich kleiner, die Blamage wird aber größer. Im ersten Fall kann man die Griechen als Täter und sich selbst als unschuldiges Opfer hinstellen. Im zweiten Fall akzeptiert man indirekt seine eigene Schuld an der Krise. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre der Schuldenschnitt rational, politisch aber nicht unbedingt. Was mich nicht optimistisch stimmt: Merkels Instinkt bestand bislang stets darin, zwischen verschiedenen Wegen den des geringsten Widerstands zu wählen.

Für mich als Deutschen, der jetzt seit vielen Jahren im Ausland lebt, ist es immer erstaunlich zu sehen, wie ein Land mit starken Wurzeln im Humanismus und Rationalismus, mit seinen großen Wissenschaftlern und Ingenieuren, sich in Debatten immer wieder emotional verrennt. So wie sich unsere Großväter sich im Jahre 1914 auf einen kurzen Krieg freuten, so verlangen deutsche Konservative heute den Grexit. Einige von ihnen wissen sehr wohl, dass ein Grexit den Euro langfristig destabilisieren wird.

Ich sehe die größte Gefahr in einem Erfolg der Aktion. Wenn die griechische Wirtschaft zwei Jahre nach einem Grexit wieder wächst, dann wird sich die Debatte insbesondere in Italien ändern. Aus der einstigen Gefahr des Euroaustritts wird eine Erlösung. Ein nordeuropäischer Rumpf-Euro bleibt dann übrig, mit stark überbewertetem Wechselkurs.

Die rationale Entscheidung für Deutschland wäre die Akzeptanz eines Schuldenschnitts. Alexis Tsipras signalisiert, dass er verhandeln will. Merkel sollte es auch tun.

Kennen Sie unsere Newsletter?
Foto: SPIEGEL ONLINE