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200. Geburtstag Mythos Bismarck - Ein schwieriges Erbe

Reichseinigung, Sozialgesetze, Kulturkampf - das wissen viele noch über Bismarck. Über die Jahrzehnte hinweg aber war sein Wirken hochumstritten: "Eiserner Kanzler" oder "Dämon der Deutschen"?

Meterhoch steht Bismarck auf seinem Sockel, in Bronze gegossen, in Sichtweite der Siegessäule in Berlin. Die rechte Hand auf der Urkunde der Reichsgründung, die linke am Säbel. 1901 ist dieses monumentale Denkmal entstanden, nur drei Jahre nach dem Tod des Reichskanzlers. Es steht für seine damals fast kultische Verehrung. Bismarck war ein Mythos - eine Schlüsselfigur deutscher Geschichte, ein Staatsmann weltpolitischer Bedeutung. Am kommenden Mittwoch jährt sich seine Geburt zum 200. Mal - was bedeutet er uns?

Schlachtschiffe und Heringe wurden nach ihm benannt, Schnäpse und Mineralwasser. Niemandem seien mehr Denkmäler errichtet worden, schreibt der Publizist Norbert F. Pötzl. Am Geburtstag selbst, dem 1. April, ist in Berlin ein Festakt angesetzt: Im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden spricht Bundespräsident Joachim Gauck. Es gibt neue Biografien, Ausstellungen, Vorträge - und eine Sonderbriefmarke. Das ist Einiges für einen Mann, der in vergangenen Jahrzehnten sehr kritisch gesehen wurde. Als "Dämon der Deutschen" stufte ihn gar der Journalist und Historiker Johannes Wilms ein.

Wer war Bismarck also?

Geboren wurde Otto von Bismarck am 1. April 1815 auf dem Gut Schönhausen im heutigen Sachsen-Anhalt als Spross eines alten Adelsgeschlechts. Er war ehrgeizig, erzkonservativ und hatte vor allem ein Ziel: Preußens Macht zu sichern und zu mehren. "Als Politiker schreckte er vor keinem Winkelzug zurück und verfolgte seine Gegner mit abgrundtiefem Hass noch bis ins Grab", schreibt der Historiker Christoph Nonn. Privat sei Bismarck "egozentrisch und cholerisch" gewesen, er neigte zur Hypochondrie.

Nach einer diplomatischen Karriere unter anderem als preußischer Gesandter in Sankt Petersburg und Paris schlug 1862 Bismarcks Stunde. Inmitten einer schweren Krise der Monarchie ernannte der preußische König und spätere deutsche Kaiser Wilhem I. Bismarck trotz Bedenken zum Ministerpräsidenten.

Gegner der Arbeiterbewegung

Fast 30 Jahre lang sollte Bismarck die Geschicke der in Kleinstaaten zersplitterten Nation lenken. Er schuf als kleindeutsche Lösung, also ohne Österreich, mit "Eisen und Blut" den deutschen Nationalstaat - nach Siegen in den Kriegen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71). Mit einem komplizierten Bündnissystem sorgte er anschließend für ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa - mit dem Hauptziel, Frankreich zu isolieren. Als "ehrlicher Makler" verhinderte er 1878 auf dem Berliner Kongress einen neuen Krieg.

Innenpolitisch war Bismarck ein gnadenloser Gegner der Arbeiterbewegung, das "Sozialistengesetz" von 1878 bedeutete de facto ein Verbot der Sozialdemokratie. Im Kulturkampf kämpfte er gegen den Einfluss der katholischen Kirche. Auf der anderen Seite schuf er eine moderne Sozialgesetzgebung und führte Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung ein - als Teil seiner Doppelstrategie gegen die Sozialdemokraten: Zuckerbrot und Peitsche.

"Der Lotse geht von Bord"

Die für Bismarck bittere Entlassung durch den jungen Kaiser Wilhelm II. 1890 kommentierte das britische Magazin "Punch" in einer berühmten Karikatur mit den Worten: "Der Lotse geht von Bord."

Am 30. Juli 1898 starb Bismarck, mit 83 Jahren. "Ein Schauern und ein Zittern ergreift einen - auch wenn man nicht will", schrieb der Theaterkritiker Alfred Kerr. "Ein Stück von Deutschland ist es, das in die Fluten des Weltgeschehens für alle Ewigkeit versank."

Heldenverehrung

Die Heldenverehrung Bismarcks sollte in weiten Teilen der Bevölkerung andauern. Adolf Hitler stellte sich in eine Reihe mit Friedrich dem Großen und Bismarck. Spätestens ab den 1970er Jahren aber setzte eine Götterdämmerung ein. Bismarcks Wirken wurde nun teils äußerst kritisch bewertet. Viele Historiker sahen ihn als Ahnherrn einer preußischen und deutschen Kriegs- und Gewaltpolitik, die in letzter Konsequenz zur Katastrophe geführt habe. Einen ausgewogenen Weg wählte der Historiker Lothar Gall: Bismarck habe in einer Zeit des grundlegenden Umbruchs gelebt, davon zeugten Kulturkampf und Kampf gegen die Sozialdemokratie, aber auch die fortschrittliche Sozialgesetzgebung - kein roter, "ein weißer Revolutionär".

Im Jubiläumsjahr werben vor allem jüngere Historiker für einen nüchternen Blick. Bismarck vereine Widersprüchliches in sich, sagt der Historiker Carsten Kretschmann von der Universität Stuttgart: "Preuße und Reichsgründer, Christ und Kulturkämpfer, Landjunker und Shakespeare-Verehrer." Auch für den Passauer Historiker Hans-Christof Kraus ist es an der Zeit, sich Bismarck gelassener zu nähern. Er sei weder Übervater noch Dämon - ein "Mann mit Begabungen und Fehlern, mit hoher Intelligenz und Charakterstärke, aber auch mit einer Neigung zu kleinlicher Rachsucht".

Widersprüchliches Erbe

Von einem "widersprüchlichen Erbe" spricht der Historiker Heinrich August Winkler. Außenpolitisch sorgte Bismarcks Bündnissystem zwar für einen langen Frieden - allerdings nicht dauerhaft. Pötzl sagt: "Es war ein höchst riskanter Ausgangspunkt für die Außenpolitik unter seinen Nachfolgern, als das Kaiserreich nach Weltgeltung strebte."

Innenpolitisch hinterließ Bismarck mit seiner "Revolution von oben" ein zerissenes Land. Kraus nennt Bismarck einen "konservativen Erneuerer", der Deutschland modernisiert habe - aber nur so lange, wie bestehende Machtstrukturen nicht angetastet wurden. Zwar führte Bismarck auf Reichsebene das allgemeine Wahlrecht für Männer ein. Eine Parlamentarisierung des Regierungssystems aber folgte nicht - eine schwere Vorbelastung der Weimarer Republik. "Es bedurfte der Katastrophe der Jahre 1933 bis 1945, um die deutschen Vorbehalte gegenüber der westlichen Demokratie, das fatalste Erbe der Bismarck-Zeit, zu überwinden", sagt Winkler.

lie/Andreas Hoenig/DPA DPA

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