Die Stromverschenker – Seite 1

Der Albrecht Discount steht für preisgünstiges Einkaufen – nur umsonst gab es bei Aldi bisher nichts. Das ändert sich jetzt: Aldi Süd bietet bald an 50 Filialen kostenfrei Strom für Elektroautos an. Für diese Initiative bekommt Aldi kein Geld vom Staat, aber jede Menge Aufmerksamkeit.

Die Supermarktkette begründet auf Anfrage das Angebot damit, man wolle "einen Beitrag zur Energiewende" leisten und "die Elektromobilität in Deutschland fördern". Und: "Je mehr Elektrotankstellen es gibt, desto leichter wird den Menschen die Entscheidung für ein Elektroauto oder Fahrrad fallen."

Dass es auch ums eigene Image geht, liegt auf der Hand. Und natürlich ist kostenloser Strom für die rund 30.000 Batterieautos und Plug-in-Hybride sowie für Tausende Pedelecs ein modernes Kundenbindungsinstrument. Rund 2,2 Millionen Euro gibt Aldi für die 50 Ladesäulen aus.

Diese Fortschrittlichkeit traut nicht jeder dem eher konservativen Unternehmen zu. Fakt aber ist, dass Aldi Süd bis Ende des Monats auf den Dächern von mehr als 850 Filialen sowie von 29 Logistikzentren Fotovoltaikanlagen installiert. Diese leisten insgesamt rund 95.000 Kilowatt Peak (kWp) und können circa 123 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr liefern. Eine Summe, bei der für das Projekt "Sonne tanken" problemlos etwas Energie abfällt.

Machen statt murren

Die Ladesäulen auf den Aldi-Parkplätzen bedienen alle gängigen Standards: Typ 2 beim Wechselstrom, CCS und Chademo beim Gleichstrom. Das Angebot ist also diskriminierungsfrei. Die Anschlussleistung liegt laut Aldi bei 22 Kilowatt – das soll reichen, um "in 30 Minuten eine Reichweite von 80 Kilometern" tanken zu können. Eine Rechnung, die kurz erklärt sein will: Gehen in einer Stunde gut 20 Kilowattstunden in die Batterie, ist es in einer halben Stunde rund die Hälfte. Aldi legt somit einen Stromverbrauch beim Elektroauto von etwa 12,5 Kilowattstunden je 100 Kilometer zugrunde. Das entspricht ziemlich genau dem Normverbrauch eines Volkswagen e-Golf.

Um Missbrauch zu verhindern, ist die maximale Ladezeit auf eine Stunde begrenzt. Kunden müssen sich nicht registrieren oder identifizieren. Einfach ankommen, einstöpseln, einkaufen. Damit zeigt Aldi Süd allen Bürokraten eine lange Nase, die murren und meckern und regulieren – und nicht handeln.

"Das ist eine tolle Idee", findet Mark Walcher von Ladenetz.de, einem Verbund von über 50 Stadtwerken und diversen Roaming-Partnern. Mit der Karte von Ladenetz können Elektroautofahrer an besonders vielen öffentlichen und teil-öffentlichen Säulen Strom ziehen. Dass immer mehr Betriebe den Kunden elektrische Energie als Service anbieten, begrüßt Walcher ausdrücklich, selbst wenn das eine Konkurrenz zu den klassischen Versorgungsunternehmen darstellt: "Langfristig kann ich mir vorstellen, dass die Energie für Elektroautos grundsätzlich kostenfrei ist."

Aldi hält dem Staat den Spiegel vor

Diese Vision erscheint nur auf den ersten Blick seltsam. Denn die 44 Millionen Autos in Deutschland sind selbst mit den ineffizienten Verbrennungsmotoren nur für rund elf Prozent des Primärenergieverbrauchs verantwortlich, zeigen Zahlen des Umweltbundesamtes. Wenn Stück für Stück immer mehr Pkw elektrifiziert werden, ist es keineswegs absurd, dass Strom zu bestimmten Uhrzeiten entweder zu sehr niedrigen Preisen oder – zum Beispiel, falls die Batterie Strom für den Regelenergiemarkt speichert – mindestens umsonst ist. Der Chef des Ökostromanbieters Lichtblick, Heiko von Tschischwitz, ist sogar davon überzeugt, dass ein Elektroauto "über 1.000 Euro im Jahr erlösen" könnte, wenn der Akku das Stromnetz stabilisiert.

Aldi Süd ist ein prominentes Beispiel fürs Stromverschenken, aber nicht allein. Hotels und andere Betriebe praktizieren das ebenfalls. Auch an den über 30 Superchargern, die Tesla an den wichtigen Verbindungsachsen des Landes aufgebaut hat, können die Besitzer eines Model S grundsätzlich umsonst tanken. Ob das immer so bleiben wird? Wahrscheinlich ja, denn wenn die Infrastruktur erst errichtet ist, sind die eigentlichen Stromkosten gering.

Selbst der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD) kann nichts Schlechtes an Aldis Aktivität finden. "Wenn Unternehmen aus eigenem Engagement und ohne Subventionen in Ladesäulen investieren und dort grünen Strom anbieten, ist dagegen nichts einzuwenden", sagt Sprecherin Anja Smetanin – zumal der Discounter immer auch von Pedelecs spricht, die einen niederschwelligen Verzicht aufs Auto möglich machen.

Aldi Nord folgt der Schwestermarke nicht

Also alles gut? Nicht ganz. Die Kritik richtet sich nicht an Aldi Süd – der schnelle Aufbau von 50 mit allen Fahrzeugen kompatiblen Ladesäulen durch ein privatwirtschaftliches Unternehmen hält vielmehr dem deutschen Staat den Spiegel vor. So dümpelt etwa das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt SLAM (Schnellladenetz für Achsen und Metropolen) kraftlos vor sich hin, und eine Koordination für eine sinnvolle bundesweite Infrastruktur fehlt bis heute.

Wie deprimierend die Gesamtsituation ist, wurde zuletzt vorige Woche auf der Nationalen Konferenz der Bundesregierung zur Elektromobilität deutlich. "Man erwartet in diesem Jahr eine Antwort von uns", sagte Kanzlerin Angela Merkel auf die im Raum stehende Forderung nach Förderung, "und wir werden uns Mühe geben." Eine Nullaussage, die man bei BMW offenbar erwartet hatte – es war kein Spitzenvertreter des mit den Modellen i3 und i8 international erfolgreichen Anbieters anwesend, dafür aber von Volkswagen (Winterkorn) und Daimler (Zetsche).

Bitter ist die Initiative von Aldi Süd auch für alle Neugierigen in Berlin, Hamburg und anderswo im Gebiet von Aldi Nord. Dort, so heißt es, sei eine "Implementierung von Elektroladestellen aktuell nicht geplant".