"Leuchtende Kinderaugen" sind eine feine Sache. Aber kein Argument.

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Ich dachte immer, die biologische Uhr gebe es nur im Märchen von der spätgebärenden Akademikerin. Falsch! Neulich hat sie mich auf dem Sofa hinterlistig attackiert. Ich las in einer Zeitschrift, dass man tunlichst vor dem 35. Geburtstag schwanger werden solle, danach sinke die Fruchtbarkeit rapide. Gut, dachte ich, noch ein Jahr, um mir über das Thema den Kopf zu zerbrechen. Da überfiel mich diese Uhr auf jene Art, die ich am wenigsten schätze: mit Mathematik. Sie rechnete mir vor: "Du hast 17 Jahre lang hormonell verhütet, das heißt, es könnte ein Jahr dauern, bis du wieder einen normalen Zyklus hast. Zum Überlegen bleiben dir also noch genau zweieinhalb Wochen."

Zweieinhalb Wochen? Eigentlich war für mich immer klar, dass ich keinen Kinderwunsch verspüre, aber was, wenn ich den doch noch bekomme? Und zwar dann, wenn es schon zu spät ist! Klischeehafte Torschlusspanik lässt seither meine Gedanken im Eiltempo kreisen. Die Angst, etwas zu verpassen ist ja wohl kein guter Grund, um ein Kind zu bekommen. Aber was wäre denn ein guter Grund?

Als bislang überzeugt Kinderlose habe ich schon jede Menge Argumente pro Baby gehört. Antworten, die die Phrase "leuchtende Kinderaugen" beinhalten, lasse ich längst nicht mehr gelten: Spätestens im Alter von 13 Jahren hat es sich mit der Niedlichkeit und dann passt der Nachwuchs nicht mehr in die Babyklappe. Tatsächlich wurde mir schon gesagt: "Kinder zu kriegen ist doch der Sinn des Lebens!". Ja, sicher, für ein Kaninchen vielleicht. Und zudem wäre es einfach unfair, einem Kind die Bürde als Sinnstifter in meinem Leben aufzuhalsen.

Ein Kind ist keine Pflegeversicherung

Zuwider ist mir der Spruch: "Wer wird sich denn um dich kümmern, wenn du alt bist?" Ein Kind ist doch keine Pflegeversicherung! Für das, was ein Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr kostet, könnte man eine 24-Stunden-Pflegekraft für zwei Personen volle fünf Jahre lang bezahlen. Und darum, dass ich im Alter nicht einsam bin, muss ich mich schon selbst kümmern. Junge Eltern erwähnen auch gerne die bedenkliche demografische Entwicklung und ihren heldenhaften Einsatz für sichere Pensionen. Das nehmen die doch nicht mal selber ernst!

Ich denke, oft wurzelt der Wunsch nach einem Kind in profaneren Dingen: Wenn ich im Studium nicht weiterkomme oder im Job auf der Stelle trete, wenn die Beziehung neuen Antrieb braucht - mit einem Kind sind diese Probleme scheinbar gelöst. Manchmal funktioniert das sogar, aber im Endeffekt hat man sich nicht konkret ein Kind gewünscht, sondern eine Veränderung. Ein neuer Job, eine neue Stadt oder gar ein neues Hobby hätten es womöglich auch getan.

Aber ich verstehe den Hintergedanken, denn all diesen Dingen fehlt etwas: der große Überraschungsfaktor. Ein Kind bietet die Möglichkeit, sich auf etwas Spannendes und Einzigartiges im Leben einzulassen. Man zaubert aus dem Nichts einen Menschen herbei. Ich wäre nicht nur neugierig darauf, wie diese Person aussieht, sondern auch auf ihre Ideen, ihre Vorlieben, ihren Charakter. Das könnte durchaus den Horizont erweitern.

Applaus für den Kollegen in Karenz

Allerdings bringt ein Kind nach meinen Beobachtungen in der ersten Zeit null Horizonterweiterung und dafür puren Stress, gepaart mit geistiger Unterforderung. Und nach wie vor wird von mir als Frau erwartet, dass ich das ganz toll finde. Als ein Kollege bei einer Abteilungsbesprechung verlautbarte: "Ich gehe für sechs Monate in Karenz!" erntete er spontanen Applaus. Hätte eine Frau dasselbe gesagt, hätte diese sicher zu hören gekriegt: "Was, nur ein halbes Jahr?"

Das Schöne an der Auszeit im Beruf ist jedoch, dass sich die Prioritäten verschieben. Oft nimmt uns der Job viel zu sehr ein, das kann ein Kind ausgleichen. Nur manchmal kippt die Waage dann auf die andere Seite: Nicht das gemeinsame Familienleben ist die Hauptsache, sondern das Kind selbst wird auf ein Podest gehoben. Etwa bei einer Freundin, die mir erklärt, dass ihr Julian, der gerade Laufen lernt, sich deshalb wie ein Klotz hinfallen lasse, weil er gewohnt sei, dass sie ihn immer auffange. Oder in der halbleeren Straßenbahn: Meine Kollegin wird von einer Mutter mit kreischender Vierjährigen an der Hand gefragt, ob sie nicht bitte aufstehen könne, Luisa möchte genau auf diesem Platz sitzen. Meine Hochachtung vor der Kollegin, die sitzen geblieben ist.

Wäre ich auch eine solche Mutter? Gibt es in meiner Generation nur noch Helikopter-Eltern, die Tag und Nacht ihr Kind umschwirren?

Die 35-Jahr-Grenze hin oder her, ich sehe schon, ich werde mir noch Zeit zum Überlegen nehmen. Aber, liebe biologische Uhr, jetzt rechne ich dir mal etwas vor: 100 Prozent Kind, geteilt durch zwei Eltern, das ergibt 50 Prozent Kind für jeden. Sollte ich mich für ein Kind entscheiden, dann möchte ich bitte solch ein halbes Kind. Eines, das von Mama und Papa zu gleichen Teilen umsorgt wird, eines, das ein paar Tage die Woche in die Kinderkrippe gehen kann, eines, das mein Leben teilt und nicht beherrscht. Geht das? Darf ich das? Oder muss ich dafür ins Exil für Rabenmütter nach Stockholm oder Paris auswandern? (Lena W. Senner, derStandard.at, 21.8.2013)